„Wehe!“ Wann hast du diese Drohung zuletzt ausgesprochen? Und wem gegenüber haben Sie sie geäußert? Ich vermute, dass „Wehe“ den meisten Menschen, die diese Zeilen lesen, nicht sehr häufig über die Lippen kommt. Denn das „Wehe“ hat ja mit wehtun zu tun – und das wollen wir ja nicht (so offensichtlich).
Die Herkunft von „Wehe“ geht übrigens auf „weinen“ zurück. Der Monat November hat es auch mit dem Weinen zu tun – die Tage sind schon längst länger dunkel, die katholischen Geschwister gedenken an Allerseelen ihrer Verstorbenen, wir gehen durch das Tal von Buß- und Bettag, Volkstrauertag und dem Totensonntag. Da fließen Tränen. In diesem November erleben viele ihre Situation sogar noch als düsterer als zuvor. Da sind Sorgen um die Zukunft Europas und der Welt, da sind persönliche Nöte und Ungewissheiten bei ganz vielen Menschen. Und manchmal wünschte ich, es könnte jemand so viel Autorität haben und mit einem „Wehe“ Kriegsherren, Gewalttäter und Hasspredigerinnen zur Vernunft bringen. Wie viel Weinen und Wehklagen damit aufhören würde!

Vielleicht hat Jesaja zu seiner Zeit mit den damaligen Herausforderungen ähnlich empfunden? Der Monatsspruch stammt aus dem sogenannten Weinberglied, das Jesaja von Gott überliefert. Gott hat seinen Weinberg, sein Volk, gepflanzt.

Doch es kommen schlechte Früchte hervor. Eigentlich ist das Weinberglied ein Liebeslied Gottes an den Menschen. Aber an dieser Stelle steht es kritisch um die Liebe. Gleichzeitig ist dieser Gott nicht „blind vor Liebe“. Er sieht genau, was schiefläuft. Er benennt ganz klar die Verdrehungen von Menschen, die Böses, Saures und Finsteres anstellen und Leben zerstören und belasten statt es zu fördern und den Frieden voranzutreiben.

Damit ist Unrecht beim Namen genannt! Das lindert die Tränen nicht. Aber es stellt ihnen die heilsame Vorstellung von Gottes verkehrter Welt an die Seite, von der Jesaja bis Maria ein Lied zu singen wissen und die bis heute herbeigesehnt wird: Die Mächtigen werden entmachtet, die Ohnmächtigen kommen zu ihrem Recht, Traurige werden froh, Verzagte hoffnungsvoll, Arme reich…

Apropos Maria: Das Wort „Wehe“ gibt es ja auch noch an ganz anderer Stelle, nämlich dem Geburtsschmerz. Ich will auf eine göttliche, wenn auch schmerzhafte Geburt der Liebe Gottes durch das „Weh“ hindurch glauben. Und immerhin folgt auf den Weh-Monat November der Dezember mit der Geburt Jesu in diese Welt hinein.

Also: Wehe Sie geben die Hoffnung auf!

Ihre/Eure Cordula Modrack